Wir für uns
Dritte Evangelische Wallfahrt in die Kirchenburg zu Neithausen
Keine Frage - wir Siebenbürger (und Osteuropäer im allgemeinen) - zeigen uns gerne für andere. Wir ziehen Trachten an und feiern Feste um anderen zu zeigen, was für Traditionen wir haben und überhaupt: dass es uns noch gibt.
Die Wallfahrt nach Neithausen am 21. Oktober 2006 war aber keine Folklore. Sie war von uns und für uns. Nicht einmal die inzwischen weit verbreiteten "Sommersachsen" waren anwesend denn im Oktober wärmt man sich lieber an der Nürnberger Zentralheizung als am Hunderbüchler Kachelofen. Trotzdem kamen über 170 Teilnehmer hinzu, um in der Neithausener Kirche Erntedank zu feiern. Diese leider schon leidende Kirche hat alle überrascht. Zuerst durch die frühgotische Kapelle in dem dicken Turm, in dem man sich nach Eintritt in frühere Jahrhunderte zurückversetzt fühlte. Dann durch die Läutordnung, bei der die Glockenseile von außerhalb der Kirche geläutet werden. Und nicht zuletzt durch die lustige und luftige Kanzel im Altar, wo der Prediger aus dem Bild heraus in den Kanzelkorb tritt.
Die Teilnahme an dem Gottesdienst war ein Bekenntnis zum Glauben und auch dazu, dass selbst diese Kirche, unsere Kirche ist. Sie gehört nicht nur den drei verbliebenen evangelischen Sachsen vor Ort, sondern sie gehört zu unserer Geschichte und Identität dazu. So gestalteten wir zusammen diese Wallfahrt. Die Liturgie wurde von einer Mediascher Pfarrerin gefeiert, die Predigt vom Heltauer Pfarrer gehalten, die Glocken von der Michelsberger Postfamilie geläutet, die Kirchenmusik von dem Schäßburger Organisten gestaltet, die Ordnung von einer Agnether Truppe gemacht, das Altarbrot von der Kuratorin aus Mergeln gebacken, die Blasmusik von den Adjuvanten aus Probsdorf gespielt, der Chor mit Hermannstädter, Rothberger, Mediascher, Heltauer, Stolzenburger und Schäßburger Sängern und Sängerinnen bestückt und die über 20 Autos von allen Erdenklichen gefahren. Ja, auch die Neithausener Kirche ist unsere Kirche. Nach über 15 Jahren konnten wir sie wieder dem Gottesdienst zurückwidmen. Mit regionalem Denken kann man gerne auch in der Diaspora leben. Es funktioniert.
Der Prediger las aus dem Kanzelkorb die Worte des Paulus aus dem Hohelied der Liebe vor und sprach davon, dass wir eine dreifache Ernte vor Augen haben: die Ernte der Felder, die Ernte der Geschichte und die Ernte des Lebens. Bei allen dreien ist die Liebe ein gewichtiger Maßstab der Auslese. Die Teilnahme an der Wallfahrt sei ein Zeichen der Liebe. In langer Prozession bekundete die versammelte Gemeinde, dass Christus der Mittelpunkt des Lebens ist. Lediglich: ein einfacher Altarumgang war wegen der vielen Leute nicht möglich. So wurden alle eingeladen, um den Altar zu schreiten, danach die Kirche beim Südportal zu verlassen und bei der Westtüre wieder einzutreten. Nur so konnte diese feierliche Handlung vollzogen werden. Am Schluss des Gottesdienstes sprach der rumänisch-orthodoxe Ortspfarrer noch ein Grußwort, jenes des HOG-Vorsitzenden Konnerth wurde vorgelesen und die Anwesenden kurz in Geschichte und Baugeschichte der Kirche eingeführt.
Beeindruckt hat alle, dass im Jahre 1500, bei nur 30 Wirten im Dorf, die Kirche befestigt wurde und die Gemeinde zusätzlich noch eine Schule und eine Mühle unterhielt. Heimlich fragte sich jeder: Was ist unsere Generation im Stande? Einiges schon: Dank der Hermann Niermann Stiftung aus Düsseldorf konnte das Dach der Kirche dicht gemacht werden (das Wasser floss vorher schon im Innenraum die Mauern herab) und ein anonymer Spender, beeindruckt vom Kampf gegen den Verfall, hat weitere Mittel in Aussicht gestellt.
Dank an alle, die dieser Kirche - wenigstens für kurze Zeit - Form und Inhalt zurückgeben.
Das Hermannstädter Dekanat